Kendra Hoff (9.1)
Deutschland hat gewählt. Seit dem 26.09. hatten wir eine Vermutung, wer unsere neue Regierung bilden wird - und seit dem 24.11., dem Tag, an dem der Koalitionsvertrag vorgelegt wurde, ist diese Ahnung fast zur Gewissheit geworden. Durch das Wahlergebnis war bis vor einigen Wochen zwar noch ziemlich offen, ob Armin Laschet oder Olaf Scholz nun Bundeskanzler von Deutschland wird. Jedoch sind die CDU/CSU (und mit ihr auch Herr Laschet) im Moment damit beschäftigt, das eigene Image erstmal wieder zu „erneuern“. Wie es zu dieser Situation kommen konnte und was ich mir als Schülerin von Olaf Scholz als vermutlich zukünftigem Bundeskanzler erhoffe, lest ihr in diesem Rückblick auf die Bundestagswahlen.
August dieses Jahr: Seit zwei Wochen ist ein Thema in aller Munde - die Bundestagswahlen. Selbst diejenigen, die sich sonst so gut wie gar nicht für Politik interessieren, diskutieren aufgebracht mit. Ein weiteres der „Zerstörungsvideos“ von Rezo, in denen er sich über Politiker*innen im Allgemeinen und die von der Union im Besonderen beschwert, ist gerade hochgeladen worden und man hört auf dem Pausenhof des Lilienthal-Gymnasiums und in den Medien sehr viel Spott über die CDU/CSU und vor allem über Armin Laschet. Seit dem Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sinkt die Unterstützung für ihn rapide; der Kanzlerkandidat der CDU wirkt einfallslos und oft arrogant.
Bei den GRÜNEN sieht es erstaunlicherweise auch nicht viel besser aus. Zwar ist das Thema Klimaschutz so aktuell wie nie, doch anscheinend sehen die Jugendlichen dessen Zukunft nicht mehr in Annalena Baerbock. Nachdem sie von ihrer Partei an sie geleistete Weihnachtsgeldzahlungen viel zu spät bei der Bundestagsverwaltung gemeldet und dann auch noch ihren Lebenslauf aufgehübscht hat, wirkt sie längst nicht mehr wie die verlässliche Vorzeigepolitikerin der GRÜNEN.
Offenbar scheint die Union den Dreh diesmal ebenfalls nicht rauszukriegen und ist viel zu sehr damit beschäftigt, sich untereinander die Augen auszustechen. Vor allem Markus Söder und Armin Laschet liefern sich einen Revierkampf, der seinesgleichen sucht. Die CDU/CSU wirkt mittlerweile mehr so, als ob es für sie selbstverständlich wäre, sie zu wählen – sie sind ja die „Kanzlerinpartei“. Nur, wenn dieser Aspekt wegfällt, dann sieht es für sie auf einmal nicht mehr so strahlend aus; dann ist der fast schon „Kult-Status“ von Angela Merkel nicht mehr ihr schlagendstes Argument. Arrivederci Kanzler*innenbonus, liebe Union!
Was aber viele vielleicht noch mehr überrascht, sind die Umfragewerte der SPD. Die sonst in der Wählergunst seit Jahren abschmierende zweite Volkspartei wird immer beliebter. Der Frust vieler Wähler*innen kommt anscheinend Olaf Scholz zugute, der die Aufgabe übernimmt, die sonst immer der CDU/CSU vorbehalten war: auf von Merkel altbekannt überzeugende Weise so zu wirken, als „könne er Kanzler“.
Genau diese Stimmung schlägt sich auch im Verlauf der Stimmauszählung am Wahlabend nieder. Die gesamte Zeit über liegt die SPD vorn, aber sie muss sich zeitweise trotzdem ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Christdemokraten liefern. Am Wahlsonntag um 19.14 Uhr, als in einigen Berliner Wahllokalen wegen der typisch unfähigen Wahlorganisation immer noch gewählt wird, sind es nur 0,2 Punkte Abstand; anscheinend hat die Stammwählerschaft der Union trotz unzähliger Fehlschläge das Vertrauen in ihre Partei nicht verloren. Der Vorsprung der SPD wird dann allerdings im Laufe des Abends noch deutlicher erkennbar.
Erschreckend ist vor allem, dass die AfD nicht nur bundesweit noch immer zweistellige Werte erzielt, sondern in Sachsen und Thüringen sogar stärkste Partei ist.
Nach und nach zeichnet sich auch ab, dass Christian Lindners offensichtliche „Verhipsterung“ der FDP funktioniert hat, denn die Freien Demokraten erhalten 11,5 Prozent der Stimmen und sind auch bei Jungwähler*innen angesagt (siehe zum Vergleich die Vorlieben unserer Schüler*innen im Juniorwahlen-Rückblick). Vor ein paar Jahren noch undenkbar.
Genauso wie das für Unions-Verhältnisse grottenschlechte Wahlergebnis der CDU (24,5%), die letztendlich deutlich hinter der SPD (25,7%) zurückliegt. DIE GRÜNEN erreichen dann doch noch 14,8 Prozent im Bund. Und auch die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig, ebenfalls von der SPD, darf sich über einen grandiosen Wahlerfolg in Mecklenburg-Vorpommern mit fast 40% der Zweitstimmen freuen; in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wurden nämlich am 26.09. auch die Länderparlamente neu gewählt.
Da die CDU und SPD eine Fortsetzung der bisherigen, gemeinsamen Regierung auf Bundesebene immer noch ablehnen, sind DIE GRÜNEN und die FDP die sogenannten „Königsmacher“, denn je nachdem, ob sie die Ampel (SPD, GRÜNE, FDP) oder Jamaika (CDU, GRÜNE, FDP) als Regierungskoalition sinnvoller finden, bestimmen sie auch automatisch, wer der nächste Bundeskanzler wird.
Hier wird es schwierig, denn unterschiedlicher als DIE GRÜNEN und die FDP könnte man kaum sein. Die Einen legen Wert auf Klimaschutz durch staatliche Eingriffe und Investitionen aus Steuergeldern, die Anderen konzentrieren sich auf Steuersenkungen für reichere Personen und wirtschaftliche Entwicklung durch möglichst wenige Eingriffe des Staates. Zudem favorisieren DIE GRÜNEN die SPD, während die FDP lieber mit der CDU zusammenarbeiten würde – zumindest haben die Parteivertreter das vor der Wahl regelmäßig betont.
Eine Lösung muss aber trotzdem irgendwie immer gefunden werden. Wobei es lange schien, als wäre man sich noch nicht so ganz sicher, wie genau das eigentlich funktionieren sollte. Zwar wurden die Sondierungsgespräche zur Ampel fast schon direkt nach der Wahl begonnen und Jamaika schien bald gänzlich vom Tisch, jedoch bekam man immer wieder mit, wie die FDP über ihre Unterschiede zu GRÜNEN und SPD stolperte und das Vorgehen der beiden anderen Parteien kritisierte. Vor allem die Steuersenkungen bzw. -erhöhungen scheinen ein großer Streitpunkt zu sein, zu dem sich die verschiedenen Seiten sehr unterschiedlich positionieren.
Obwohl also die SPD die Wahl ziemlich klar gewonnen hatte, war trotzdem eine Zeit lang nicht sicher, ob nicht vielleicht doch ein in Unionskreisen inzwischen äußerst unbeliebter Armin Laschet Bundeskanzler wird. Wobei man nicht behaupten kann, dass dieser aus der Bundestagswahl wirklich einen Regierungsauftrag für sich und seine Partei hätte ablesen können.
Letztendlich hoffe ich zwar darauf, dass tatsächlich eine Ampel-Koalition gebildet wird und wirklich alle Personen, die ich kenne, hegen dieselbe Hoffnung. Nicht nur meine Freund*innen oder Eltern, sondern auch eine meiner Lehrer*innen, wie ich zufällig mitbekam.
Wie vermutlich den meisten anderen Jugendlichen, sind mir aber vor allem der Klimaschutz und die Digitalisierung der Verwaltungssysteme und Schulen wichtig. Wie die Fridays-for-Future-Demonstrationen gezeigt haben bzw. immer wieder zeigen, ist kein Thema für uns Jugendliche so aktuell wie der menschengemachte Klimawandel und die Bekämpfung desselben. Aber auch die Diskussion darüber, ob wir Rechner im Unterricht verwenden dürfen, ob Lehrer*innen Klassenbücher digital verwalten sollten und man Reisepässe nur noch online beantragen kann, wird immer wichtiger. Und man fragt sich doch wirklich, wie genau die geschwächte CDU/CSU gedenkt, diese Aspekte in den nächsten vier Jahren in die Praxis umzusetzen.
Und dann endlich, am 24.11., ist eine wichtige Hürde auf dem Weg zur Verwirklichung der ersten Ampel-Koalition auf Bundesebene übersprungen: Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, GRÜNEN und FDP mit dem Titel "Mehr Fortschritt wagen" wird vorgelegt. Innerhalb der nächsten zwei Wochen wird Olaf Scholz höchstwahrscheinlich zum Bundeskanzler gewählt werden.
Denn langsam ist es wirklich an der Zeit, das Feld Anderen zu überlassen und sich selbst daran zu erinnern, dass in der Demokratie ein Wechsel an der Macht wichtiger ist, als so zu tun, als könne Frau Merkel entscheiden, welchem Mitglied der eigenen Partei sie das Kanzleramt gerne vererben will. „Denn wir sind das Volk und bleiben laut, weil Ihr uns sonst die Zukunft klaut!“, wie es so schön seit Jahrzehnten auf Demonstrationen skandiert wird...
Fotos: Kendra Hoff (9.1)