"Meckerköpfe gibt es überall" – Wie das Projekt "Vegucation" entstand

Annette Voigt hat 2015 an der Brillat-Savarin-Schule das sogenannte Projekt Vegucation ins Leben gerufen, welches angehenden Köch*innen eine zusätzliche Ausbildung anbietet, um in Zukunft mehr vegetarische Gerichte anbieten zu können. Das FlugBlatt hat Annette Voigt zum Interview eingeladen und auch am Lili recherchiert, inwiefern das Vegucation-Projekt ausreichend Rückhalt erfahren würde.

Artikel: Kendra Hoff (10.1), Umfrage: Ina Haasis (10.4), Lina Rode (10.4)

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 "Meckerköpfe gibt es überall" 

Wie das Projekt Vegucation entstand

 

Heute ist vegetarische oder vegane Ernährung nichts Besonderes mehr. Ungefähr 9,5 Millionen Personen ernähren sich in Deutschland laut Statista ohne Fleisch- und tierische Produkte, Tendenz deutlich steigend. Ein Teil dieser Bewegung ist Annette Voigt, die 2015 an der Brillat-Savarin-Schule das sogenannte Projekt Vegucation ins Leben rief. Im Zuge dieses Kurses erhalten angehende Köch*innen eine zusätzliche Ausbildung, um in Zukunft mehr vegetarische Gerichte anbieten zu können.

 

FlugBlatt: Was ist genau ist nun das Vegucation-Projekt?

Annette Voigt: Es handelt sich an unserer Schule um eine Zusatzqualifikation. Angehende Köch*innen erlernen die Vor- und Zubereitung von veganen Gerichten, erlangen Kenntnisse über pflanzliche Rohstoffe vom Anbau bis zum Teller sowie alle klimagerechten Gesichtspunkte in diesem Zusammenhang.

Das Ganze wird ausschließlich für auszubildende Köch*innen angeboten, da viele Bausteine in der regulären Ausbildung sowieso schon enthalten sind. Außerdem müssen Teilnehmer*innen selbständig mehrere Workshops zu diesem Thema absolvieren sowie mindestens 3x90min an Projekten im Schulgarten beteiligt sein. Das Zertifikat, welches erlangt werden kann, ist in der EU anerkannt.

FlugBlatt: Wann hat sich das Projekt entwickelt? Gab es einen bestimmten Auslöser für Ihre Idee?

Annette Voigt: Der Auslöser war eine größere Veranstaltung 2010 zum Thema Ernährung und Nachhaltigkeit in einem Hotel in Berlin. Mit einer wunderbaren Klasse von Kochauszubildenden nahmen meine Kollegin und ich an unterschiedlichen Workshops und Vorträgen dort teil. Ich unterrichtete die Auszubildenden damals in den Fächern Theorie und Praxis der Technologie der Speisenbereitung. Das heißt, wir planten u.a. auch gemeinsam einige Mensaeinsätze. Unsere Schule verfügt über eine hervorragende Mensa, in welcher so oft es geht die auszubildenden Köch*innen das Mittagessen planen und zubereiten. Diese Schüler*innen wollten unbedingt einen Veggie-Day an der Schule einführen, also einen Tag an dem ausschließlich vegetarische und vegane Gerichte angeboten werden. Sie rannten dabei bei ihren Praxislehrkräften natürlich offene Türen ein. Seit dieser Zeit gibt es also immer öfter und auch in toller Qualität einen Veggie-Day an unserer Schule.

Auf der oben genannten Veranstaltung lernte ich einige tolle Menschen des Vegetarierbunds Deutschland (heute Proveg) kennen. Es entstand ein reger Austausch über die Ausbildung und die Inhalte bezüglich pflanzlicher Ernährung.

Es gab außerdem beim Vegetarierbund bereits schon erste Ideen zu einem möglichst europäischen Bildungsprojekt bezüglich pflanzlicher Ernährung. Es dauerte nicht lange, und ich saß virtuell mit gleichgesinnten Lehrkräften und Mitgliedern europäischer Vegetarierbunde an einem Tisch. Daraus entwickelte sich schnell ein Team bestehend aus Vertreter*innen aus Belgien, den Niederlanden, Österreich und Deutschland. Es folgte eine aufwendige Zeit, in welcher Anträge und vor allen Dingen auch die Möglichkeit einer Finanzierung erarbeitet werden mussten. Letztendlich fanden wir auf europäischer Seite Hilfe und die nötige Finanzierung. Die EU fand unsere Ideen und Konzepte hervorragend und sicherte uns einen Großteil der Unterstützung zu. Das Projekt Vegucation war geboren dank Leonardo – einem Europäischen Fond für Bildung. Die Erarbeitung und Adaption des Projektes dauerte bis 2015.

FlugBlatt: Wie hat die Schulleitung Ihre Idee aufgenommen? War es schwierig das Konzept umzusetzen?

Annette Voigt: Von Beginn an hatten wir die volle Unterstützung der Schulleitung. Hier war klar, wie wichtig dieser Schwerpunkt auch an unserer Schule sein wird. Schwieriger ist es ja immer, die breite Masse zu begeistern. „Meckerköpfe“ gibt es aber überall – Berliner*innen, Lehrkräfte und natürlich in besonderem Maße auch Gastronom*innen sind dafür bekannt, in allem ein „Aber“ zu finden. Das begann mit den ersten zögerlichen Schritten einen Veggie-Day (heute nichts Besonderes mehr), an welchem nicht nur Schüler*innen, sondern vor allen Dingen Lehrkräfte ihren Unmut darüber äußerten, dass sie kein Fleisch essen konnten.

Das Projekt selber erfordert nach wie vor einen langen Atem – bedeutet es doch besonders für Lehrkräfte ein Mehr an Arbeit und auch fachlich musste viel dazugelernt werden. Dafür gab es aber auch Fortbildungen und Workshops, die wiederum von unserer Schulleitung unterstützt wurden.

FlugBlatt: Gibt es viel Interesse an dem Vegucation-Programm? Wie nehmen die Schüler*innen das Konzept auf?

Annette Voigt: Das allgemeine Interesse ist in den letzten 10 Jahren extrem gestiegen. Da es sich um eine freiwillige Zusatz-Qualifikation handelt, war der erste Ansturm sehr groß. Es halten nicht viele  Personen bis zum Schluss durch, nehmen aber immer ein Mehr an Wissen mit in das weitere Berufsleben. Und schon deswegen hat es sich gelohnt. Auch ist die allgemeine Akzeptanz gegenüber einer pflanzlichen Ernährung und der Zubereitung veganer Gerichte viel größer und auch respektvoller als noch vor einigen Jahren. Kein Mensch wird in den Klassen mehr belächelt, wenn er sich vegetarisch oder vegan ernährt. Im Gegenteil.

FlugBlatt: Was sind weitere Schritte, die Sie erreichen wollen?

Annette Voigt: Im Zusammenhang mit dem beschriebenen Projekt gilt weiterhin: steter Tropfen höhlt den Stein.

In Zukunft, mit der Neuordnung der gastgewerblichen Berufe, ist es auch möglich, eine schriftliche Prüfung zum Thema vegetarische und vegane Speisenzubereitung abzulegen. Die Wissensvermittlung dazu sollen die Betriebe übernehmen. Ich kann nur hoffen, dass der eine oder die andere Ausbilder*in ein Vegucation – Zertifikat besitzt oder sich anderweitig in dieser Richtung weitergebildet hat.

Ich werde auf jeden Fall allen Azubis regelmäßig die Möglichkeit geben, sich in zusätzlichen Workshops zu Themen der pflanzlichen Küche an der Schule weiterzubilden – ob mit oder ohne Zusatzqualifikation.

FlugBlatt: „Und zum Schluss: Was möchten Sie unseren Schüler*innen mitgeben?

Annette Voigt: Kocht selber aus frischen Zutaten! Guckt, was gerade Saison hat, und kauft genau diese Lebensmittel.

Kocht gemeinsam mit Freund*innen und esst auch gemeinsam.

Außerdem sollten wir an den Anfang der Fragen zurückgehen:

Das ganze tolle Vegucation-Projekt ist im Prinzip durch Neugier einiger Schüler*innen entstanden. Sie haben sich die passenden Ansprechpartner*innen gesucht, und schon ist alles auf den sogenannten fruchtbaren Boden gefallen.

Seid also mutig und lasst nicht locker – schon gar nicht, wenn es um Klimagerechtigkeit geht.

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Nicht nur in den Sozialen Medien, sondern auch bei uns am Lili zeigte sich anhand mehrerer Umfragen, dass sich immer mehr Menschen dazu entscheiden auf Fleisch oder ganz auf tierische Produkte zu verzichten. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber vor allem gaben Schüler*innen an, auf mehr Tierwohl achten zu wollen. Auch wenn das Thema Vegetarismus und Veganismus bei manch anderen noch auf Widerstand stößt, wäre das Vegucation-Projekt mit diesem Rückhalt sicherlich auch an unserer Schule umsetzbar. Nicht nur die Vorteile sind vielseitig, auch wäre es für einige Schüler*innen eine Chance die vegetarische beziehungsweise vegane Ernährung wenigstens einmal auszuprobieren.

Artikel: Kendra Hoff (10.1)
Umfrage: Ina Haasis (10.4), Lina Rode (10.4)

 

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