Nachdem Frau Mees aus Ihrem Sabbatical in Paris wiedergekehrt ist, haben wir mit ihr über die Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich gesprochen.
Interview: Kendra Hoff (Q1)
Mit dem Sandwich vor dem FlugBlatt: Könnten Sie sich einmal kurz vorstellen? Frau Mees: Mein Name ist Nina Mees, ich unterrichte die Fächer Englisch und Französisch und bin jetzt seit sechs Jahren am Lilienthal-Gymnasium. FlugBlatt: Sie haben ja letztes Jahr ein Sabbatical, also eine Auszeit, gemacht. Wo genau haben Sie diese Auszeit verbracht? Frau Mees: Ich habe die gesamte Auszeit in Paris verbracht. FlugBlatt: Und wie genau sind Sie zu dem Entschluss gekommen, dass Sie eine Auszeit nehmen wollen? Frau Mees: Es ist ja eigentlich so, dass man das letzte Mal richtig unabhängig war, bevor man Kinder, Familie und einen Beruf hatte, als Studentin zum Beispiel. Ich habe jetzt sehr lange gearbeitet, zwei Kinder großgezogen, die beide ihre Schule beendet haben. Und der Gedanke, den mein Mann und ich hatten, war, dass der Moment, in dem das zweite Kind aus der Schule raus ist, der Zeitpunkt ist, an dem man endlich wieder etwas unabhängiger wird. Dementsprechend haben wir uns überlegt, dass wir das nutzen möchten. FlugBlatt: Gibt es außerhalb der Tatsache, dass Sie Französisch unterrichten und sprechen können, einen Grund, weshalb es Sie nach Paris gezogen hat? Frau Mees: Neben der Sprache, wegen der wir uns für Frankreich entschieden haben, muss ich noch die Information geben, dass mein Mann beruflich international, also europäisch, arbeitet. Deswegen lag Paris als Hauptstadt nahe. Und nach Frankreich wollte ich auch, weil ich die Sprache für mich nochmal ganz neu leben wollte. FlugBlatt: Und haben Sie in diesem einen Jahr in Paris etwas dazugelernt, das so in Deutschland vielleicht gar nicht möglich gewesen wäre? Frau Mees: Ich habe sehr viel gelernt und neue Erfahrungen gemacht. Ich habe im Prinzip, wie man so schön sagt, meinen Horizont erweitert. In dem Jahr dort wollte ich Menschen treffen und auch etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anfangen. Menschen treffen natürlich auch, um die Sprache zu sprechen. Und deswegen habe ich mich zum Beispiel auf die Suche nach Gruppen gemacht, in denen ich die Sprache sprechen konnte und habe dort viele neue Menschen getroffen. Ich habe mir Podcasts und Shows angehört. Außerdem habe ich mir einen kleinen Nebenjob gesucht, in einem Bereich, der komplett anders ist, als die Arbeit hier als Lehrerin: Ich habe in der Mittagsschicht in einem Café gearbeitet. Das war sehr anders, hat mir trotzdem großen Spaß gemacht. Vor allen Dingen der Kontakt mit den Kunden. Aber ich habe nicht nur gelernt, was es bedeutet, nochmal einen ganz anderen Beruf zu leben, ich habe auch realisiert, was es bedeutet, als Besitzerin einen Laden zu führen, Angestellte zu managen und wie viel Risiko man dabei trägt. Den Einblick habe ich durch meinen Chef bekommen, obwohl ich stundentechnisch gar nicht so viel dort gearbeitet habe. Ich habe in Paris aber auch ein Ehrenamt gemacht, wozu ich sonst nie die Zeit gehabt hätte. Da habe ich auch unglaublich viel mitgenommen. Einmal in der Woche habe ich in einer Organisation gearbeitet, die Menschen ohne stabilen Wohnsitz hilft und sich für diese einsetzt. Wir haben den Menschen Hilfe bei bürokratischen Angelegenheiten gegeben, aber auch kulturelle Ausflüge organisiert. Vor allem haben wir Gespräche mit den Personen geführt und dabei habe ich gelernt, wie wichtig es ist, Gespräche zu führen und manchmal einfach nur zuzuhören. Auch wenn man denkt, man kann gar nicht helfen, hilft das oft trotzdem. FlugBlatt: Es ist doch auch schön zu sehen, dass man selbst mitten im Leben nochmal so viel Neues dazu lernen kann. Sie haben jetzt zwei sehr unterschiedliche Berufe aus Ihrer Zeit in Frankreich beschrieben. Könnten Sie sich vorstellen, diese vielleicht später in Ihrem Leben wieder aufleben zu lassen? Frau Mees: Auf jeden Fall. Ich habe ja auch eine Zeit lang nicht gearbeitet, also könnte ich mir ein Ehrenamt auf jeden Fall später sehr gut vorstellen. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht FlugBlatt: Nachdem Sie auch viel mit den Menschen in Paris in Kontakt gekommen sind, was ist Ihrer Meinung nach der signifikanteste Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich? Frau Mees: Es gibt so viele Unterschiede. Die waren mir auch nicht neu, aber ich habe sie nochmal von Näherem betrachten können. Ich glaube, der deutlichste Unterschied ist die berühmte französische Lebensart oder sogar Lebenskunst: L´art de vivre. Die Franzosen leben einfach anders, das zeigt sich zum Beispiel beim Essen. Das Essen und die ganze Kultur drumherum nimmt einen riesigen Stellenwert ein. Da kann die Welt untergehen, der Franzose würde sich die Zeit für sein Mittagessen nehmen. Das ist natürlich übertrieben, aber wenn man in Paris während der Mittagszeit unterwegs ist, dann sind die Restaurants, Bäckereien und Supermärkte voll; es kümmert sich einfach jeder um sein Essen. Natürlich haben für Restaurants nicht alle das Geld, aber auch Studenten kaufen sich etwas und setzen sich gemeinsam in den Park. Ich glaube nicht, dass ich in Frankreich jemanden mit dem Sandwich vor dem Computer sitzen sehen würde. Tatsächlich ist Essen in Frankreich staatlich subventioniert. Jeder Arbeitnehmer bekommt in Frankreich vom Arbeitgeber Essensgutscheine oder aufgeladene Karten. Insofern wird es einem in Frankreich auch einfacher gemacht. FlugBlatt: Ein Sabbatical ist natürlich eine große Entscheidung, die man vielleicht erst ab einem bestimmten Zeitpunkt im eigenen Leben treffen kann. Wem und wann würden Sie ein Sabbatical empfehlen? Frau Mees: Das ist eine sehr persönliche Entscheidung, die man individuell treffen muss. Ich empfinde es auch als ein Privileg, das mir das möglich war. Viele haben mir gesagt, dass sie mich beneiden, weil ich im öffentlichen Dienst eine Auszeit nehmen kann. Aber ein Sabbatical ist tatsächlich auch in Firmen möglich, manchmal kein ganzes Jahr, aber wenigstens ein halbes. Auch in Frankreich habe ich viele Personen getroffen, die es überrascht hat, dass ich ein Sabbatical machen- und danach wieder zurück in meinen Job kehren kann. Das ist schon ein großes Glück. FlugBlatt: Würden Sie denn grundlegend sagen, dass ein Sabbatical wirklich effektiv ist? Vor allem, wenn man an so etwas wie <i>mit dem Sandwich vor dem Computer sitzen</i> denkt, diese Kultur um Produktivität – kann ein Sabbatical davon eine Auszeit bieten? Frau Mees: Auf jeden Fall. Das kann ich absolut so unterschreiben. Aber man muss sich das natürlich auch leisten können, selbst das Ansparen der freien Arbeitstage. FlugBlatt: Und waren Sie nach Ihrer Auszeit dann trotzdem wieder froh, zurück am Lilienthal zu sein? Frau Mees: Definitiv. Ich habe mich gefreut, mit den Menschen hier wieder jeden Tag in Kontakt zu treten und auch mit den Schülern wieder arbeiten zu können. FlugBlatt: Sie haben jetzt den Blick auf das Lilienthal-Gymnasium 2021 und 2023. Fallen Ihnen große Punkte auf, die sich in der Zeit geändert haben? Frau Mees: Klar, es hat sich viel verändert. In erster Linie, dass es viele neue Kolleginnen und Kollegen gibt, mehr als sonst in einem Jahr hinzukommen. Auch in der Digitalisierung hat sich Vieles bewegt. Das Klassenbuch und die gesamte Fehlzeitenadministration werden jetzt online verwaltet. Auch die Zeugnisse zu schreiben ist jetzt anders, obwohl das für Schüler natürlich nicht offensichtlich ist. FlugBlatt: Diesen Punkt bewerten Sie vermutlich eher positiv. Gibt es auch etwas, das sich hätte ändern sollen, es aber nicht getan hat? Frau Mees: Es war klar, dass sich das nicht ändert, aber der Lehrkräftemangel ist überall spürbar, sowohl für die Schulleitung als auch für jeden Einzelnen. Beispielsweise, weil die Kurse sehr groß sind. Das ist natürlich eine enorme Belastung. FlugBlatt: Und was ist etwas, dass Sie nach Ihrem Jahr gerne den Schüler:innen mitgeben würden? Frau Mees: Das habe ich zwar nicht durch das Jahr gelernt, aber dadurch noch einmal bestätigt bekommen. Liebe Schulgemeinschaft, bitte lernt Fremdsprachen! Lernt eine zweite Fremdsprache neben Englisch. Dass Englisch alle Personen sprechen können müssen, ist klar und diese Tatsache stellt auch niemand infrage. Aber lernt bitte noch eine Sprache dazu. Ich bin immer wieder schockiert, wenn auch namenhafte Politiker sagen, dass wir das bald nicht mehr zu tun brauchen, weil die KI alles für uns erledigen wird. Wir könnten dann mit einem Knopf im Ohr mit anderen Menschen kommunizieren. Ja, das wird möglich sein. Aber das ist doch nicht erstrebenswert. Meiner Meinung nach kommt man erst wirklich mit Menschen und ihrer Kultur ins Gespräch, wenn man die Sprache dazu lernt. Nur so lernt man ein Land richtig kennen. Ansonsten wird es immer eine Barriere bei der Kommunikation geben, auch wenn man sich vielleicht versteht. Ich war während meiner Zeit auch bei vielen Polyglot-Abenden mit Menschen zusammen, die sehr viele verschiedene Sprachen sprechen. Das war extrem beeindruckend. Das Sprachenlernen kann ich also nur empfehlen, unabhängig vom eigenen Studium und Beruf. FlugBlatt: Vielen Dank für das Interview! ___________________________ Interview: Kendra Hoff (Q1) |